INTERVIEW MIT PROF. DR HOLGER K. VON JOUANNE-DIEDRICH UND DR. ANNA LAURA HERZOG

Prof. Dr. Holger K. von Jouanne-Diedrich

(Technische Hochschule Aschaffenburg)

Dr. Anna Laura Herzog

(Universitätsklinik Würzburg)


 

Covid-19 hält die Welt in Atem. Im Hintergrund arbeiten Forscher:innen weltweit an Lösungen, um die Infektionszahlen zu senken, Krankheitsverläufe abzumildern und Menschen zu retten. Auch in unserer Region engagieren sich Expert:innen im Kampf gegen das Corona-Virus. Prof. Dr. Holger von Jouanne-Diedrich von der TH Aschaffenburg und Dr. Anna Laura Herzog vom Universitätsklinikum Würzburg berichten von ihren Ansätzen.

Herr Prof. von Jouanne-Diedrich, Sie hielten gemeinsam mit Frau Dr. Herzog im Rahmen der Ringvorlesung „Künstliche Intelligenz und Digitalisierung im Gesundheitswesen“ einen Vortrag zum

Thema „Machine Learning im Kampf gegen COVID-19“. Zuerst einmal: Was kann man sich, einfach erklärt, unter Machine Learning vorstellen?

 

[Prof. Dr. Holger K. von Jouanne-Diedrich] Während der Mensch klassisch nach dem System Eingabe – Verarbeitung – Ausgabe programmiert, um Probleme zu lösen, steht beim Machine Learning das selbstständige Lernen des Computers aus Beispielen im Vordergrund. Der Computer programmiert

sich also quasi selbst.

 

Welche Anwendungsfelder von Machine Learning gibt es im Gesundheitswesen?

[Dr. Anna Laura Herzog] Am weitesten fortgeschritten ist die radiologische Bilderfassung und Auswertung. Sie unterstützt also den Radiologen bei der Interpretation. Auch in der Dermatologie in der Erfassung von Muttermalen zur Hautkrebsdiagnostik gibt es etablierte Machine Learning Verfahren. Es gibt immer mehr medizintechnische Geräte, in die eine Künstliche Intelligenz eingebaut ist. Für eine Anwendung im Bereich der Niereninsuffizienz – mein Kerngebiet – steckt die Technologie noch in den Kinderschuhen.

 

Deutschland ist stolz auf den Forschungsstandort. Wie hat sich Machine Learning im deutschen Gesundheitswesen entwickelt?

[Prof. Dr. Holger K. von Jouanne-Diedrich]

Generell kann man sagen, dass die Medizin hinsichtlich der Nutzung von Machine Learning gegenüber anderen Anwendungsgebieten noch recht weit zurückliegt. Das mag an der Sensitivität der Daten liegen oder auch am Mindset der Mediziner:innen im Allgemeinen. Doch dies ändert sich gerade: Der Wert von Daten wird hier mehr und mehr erkannt, die Vorbehalte gegen Künstliche Intelligenz schwinden und so ist gerade eine große Lernkurve zu beobachten. Spät gestartet nimmt das Thema also große Fahrt auf.

 

Was steht dem Durchbruch entgegen? Was sind die größten Hürden?

[Dr. Anna Laura Herzog]

Eine Hürde ist und bleibt der Datenschutz. Selbst um vollständig anonymisierte Daten auszuwerten,

braucht es je nach Größe und Design der Studie immer eine Ethikberatung oder ein Votum der Ethikkommission. Patienten müssen über jede Studienteilnahme aufgeklärt werden und ihr Einverständnis

eingeholt werden, was natürlich auch absolut sinnvoll ist. Aber gerade bei Patienten, die bereits schwer erkrankt aufgenommen werden und von denen womöglich auch einige versterben, ist dies häufig sehr schwierig.

 

[Prof. Dr. Holger K. von Jouanne-Diedrich]

Die deutsche bzw. europäische Datenschutzgrundverordnung ist ein wirklich nennenswerter Hemmschuh

und wird faktisch über das Patient:innenwohl gesetzt. Forschung wird erschwert und findet daher oft woanders statt. Das ist bedauerlich.

 

Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen TH Aschaffenburg und dem Uniklinikum Würzburg? Und welcher Art ist die Kooperation?

[Prof. Dr. Holger K. von Jouanne-Diedrich]

Wir kennen uns aus einem früheren Projekt und im Zuge der ersten COVID-Welle entstand die Idee für

ein gemeinsames Projekt. Uns interessierte, was man aus klinischen Daten von SARS-CoV2-Patienten

mithilfe von Machine Learning ablesen und lernen kann. Auch wenn die Stichprobe mit rund 40 Patienten recht klein und somit nicht repräsentativ ist, konnten wir mit den Ergebnissen einen Beitrag bei einer renommierten Medizinzeitschrift platzieren und die Methodik erklären.

 

Welche Daten wurden hier ausgewertet?

[Dr. Anna Laura Herzog]

Standardmäßig werden eine Reihe von Daten auf den Intensivstationen von den Patienten erhoben: Zum Beispiel Vitalparameter wie Blutdruck, Temperatur und Atemfrequenz, aber auch die Analyse von

Blut und des Urins hinsichtlich Protein- und Serumkreatinin-Ausscheidung. Dazu kommen Daten über

die Beatmung. Für uns stand die Frage im Fokus, welchen Einfluss das Virus auf die Nierenfunktion

und andere innere Organe hat und anhand welcher Kombination von Parametern man ein Nierenversagen

vorhersagen kann. Dafür stehen die notwendigen Daten aus dem Klinikalltag in der Regel zur Verfügung. Der Computer musste damit noch gefüttert werden, um Muster und Zusammenhänge zu identifizieren und aufzuzeigen.

 

Mediziner:innen und Data Scientists - da treffen zwei Spezialist:innen aufeinander, die erst mal weit

voneinander entfernt scheinen? Wie verständigt man sich da?

[Prof. Dr. Holger K. von Jouanne-Diedrich]

Beide Disziplinen sind durch eine hohe Komplexität charakterisiert mit einem speziellen eigenen Fachjargon und typischen Vorgehensweisen. Ein gemeinsames Verständnis entsteht, wenn man aufeinander zugeht und über einen längeren Zeitraum kooperiert. Insofern war es von Vorteil, dass wir uns von früheren Projekten her kannten.

 

Die Medizin gehörte bislang nicht zu den Disziplinen der TH Aschaffenburg, oder ist dieser Eindruck

falsch?

[Prof. Dr. Holger K. von Jouanne-Diedrich]

Wir arbeiten daran, auch auf diesem Gebiet Fuß zu fassen. Bereits im letzten Jahr ist ein neuer Bachelor-

Studiengang gestartet: Medical Engineering & Data Science (MEDS). Dort werden die Gebiete Medizin, Data Science, Digitale Medizintechnik und Informatik miteinander verbunden. Als nächstes kommt ein Studiengang für die Ausbildung von Hebammen ab dem Wintersemester 2022/23 dazu und in der Planung sind weitere Studiengänge in diesem Bereich. Auch kooperieren wir auf Projektebene zunehmend mit Partnern wie dem Uniklinikum Würzburg und dem Klinikum Aschaffenburg. Das Thema sehen wir für uns als zukunftsweisend und wir bauen Kompetenzen nachhaltig auf und aus.

 

Inwieweit können Medizintechnik-Unternehmen aus der Region davon profitieren?

[Prof. Dr. Holger K. von Jouanne-Diedrich]

Im Großen und Ganzen geht es vielfach um Grundlagenforschung. Dennoch sind wir offen für Kooperationsanfragen für Projekte von Unternehmen aus der Region. Und für Studierende von MEDS sind

natürlich die heimischen Medizintechnik-Unternehmen eine relevante Anlaufstelle für Praktika und

Einstiegsjobs nach dem Abschluss. 

 

Der Kampf gegen Covid-19 ist noch lange nicht gewonnen. Wie sehen Ihre Forschungsaktivitäten im

Uniklinikum Würzburg dazu aus, Frau Dr. Herzog?

[Dr. Anna Laura Herzog]

Wir arbeiten wir an zahlreichen Forschungsprojekten im Kampf gegen Covid-19. Im Fokus meines

Fachgebietes stehen beispielsweise die Überprüfung der Wirksamkeit der Impfstoffe bei Menschen,

die nach einer Organtransplantation manchmal keine oder wenig Antikörper bilden können (Immunsuppression).

 

Herzlichen Dank für die interessanten Einblicke in Ihre Projekte und weiterhin viel Erfolg, Frau Dr. Herzog

und Herr Prof. Dr. Jouanne-Diedrich.

 

Das Interview führten Meike Schumacher und Katja Leimeister, approdos consulting.

Ansprechpartner/in

Prof. Dr. Holger K. von Jouanne-Diedrich

TH Aschaffenburg

Würzburger Straße 45

63743 Aschaffenburg

06021 4206 930

Holgervon.Jouanne-Diedrich@th-ab.de

 

Dr. Anna Laura Herzog

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