Nicht ganz dicht - mikroskopische Schadensanalyse

undichte Verschlusskappe
undichte Verschlusskappe
Prinzip des Verschlusses
Prinzip des Verschlusses

Ein Schaden ist ganz allgemein definiert als eine Veränderung an einem Bauteil, durch die seine vorgesehene Funktion beeinträchtigt wird. Hierbei muss es sich nicht unbedingt um einen Bruch des Bauteils handeln, sondern auch kleinere Verunreinigungen oder Verfärbungen reichen teilweise aus, damit ein Bauteil nicht mehr akzeptiert wird.

 

Je nach Art und Ausmaß des Schadens können z.B. Produktions- und Lieferschwierigkeiten, Mehrarbeit
durch einen erweiterten Prüfumfang, Entsorgungskosten für Fehlteile, Regressforderungen usw. entstehen. Die Schadensanalyse hilft unberechtigte Reklamationen abzuwenden, die Qualität eines Produktes zu steigern, zukünftige Fehler oder Ausfallzeiten in der Produktion zu vermeiden, Prozesse und Grundlagen besser zu verstehen und damit auf unbekannte Fehler schneller zu reagieren.


Die problemorientierte Vorgehensweise zur Ermittlung der Schadensursache soll anhand eines Beispiels dargestellt werden: Der Verschluss dieses Kosmetikartikels ist undicht, so dass Flüssigkeit im Bereich der Kappe austritt (Abb. 1).


Die problemorientierte Schadensanalyse beginnt im Allgemeinen mit einer Informationsphase innerhalb
welcher der Schaden dokumentiert und beschrieben wird, sowie Hintergrundinformationen zum Bauteil
(z.B. Funktionsprinzip) und seiner Vorgeschichte ermittelt werden. Die Schadensbeschreibung ist in dem Bild in Abb. 1 dokumentiert. Bläuliche Flüssigkeit befindet sich zwischen den Gewindegängen der Verschlusskappe. Die Undichtigkeit selbst soll erst nach einigen Tagen auftreten, aber nicht jedes Bauteil sei gleich stark betroffen.


Das Funktionsprinzip des kosmetischen Stifts und des Verschlusses lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Flüssigkeit in dem Stift wird über eine Kugel aufgetragen. Immer wenn sich die Kugel dreht, wird etwas Flüssigkeit mit der Kugel an die Spitze transportiert. Das Prinzip der Abdichtung mit dem Verschluss ist in Abb. 2 dargestellt. Die Abdichtung erfolgt nicht über das Gewinde, sondern ein Ring innerhalb der Kappe drückt die Kugel nach unten, so dass diese auf der Unterseite fest gegen eine Dichtfläche gepresst wird.

 

Die Analyse mehrerer Verschlusskappen zeigt, dass diese Funktion bei allen getesteten Kappen sicher gegeben ist. Nach dem Aufschrauben der Kappe ließ sich die Kugel nicht mehr bewegen. In einem nächsten Schritt wurde die Dichtfläche unterhalb der Kugel lichtmikroskopisch analysiert.

 

Bei einem Neuteil erschien diese auf den ersten Blick unauffällig. Bei den undichten Stiften ist an der
Dichtfläche jedoch immer einseitig ein feiner Riss zu erkennen (Abb. 3), der sich bei Druckbelastung durch die Kugel aufweitet (Abb. 3a), so dass hierdurch prinzipiell Flüssigkeit austreten kann.

 

Der Riss liegt genau gegenüber vom Anspritzpunkt und entspricht damit von der Lage genau der Bindenaht, d.h. der Stelle, an der sich die Polymerfronten treffen, wenn sie auf beiden Seiten das Loch umfließen. Die Bindenaht und die im Bauteil vorhandenen Spannungen können mit Polarisationslichtmikroskopie auch am Neuteil sichtbar gemacht werden (Abb. 4). Durch die Vorzugsorientierung der Polymerketten kommt es zur optischen Doppelbrechung, die sich als Farbe in der Aufnahme widerspiegelt. Die Bindenaht ist je nach Nest unterschiedlich stark ausgeprägt.

 

Eine Bindenaht stellt prinzipiell eine Schwachstelle eines Bauteils dar, speziell wenn folgende Spritzgussparameter zu niedrig sind: Einspritzgeschwindigkeit, Nachdruck, Massetemperatur und/oder
Werkzeugtemperatur. Eine Simulation mit Neuteilen ergab: Direkt nach dem festen Zuschrauben der Verschlusskappe ist noch kein Riss in der Dichtfläche zu erkennen. Dieser bildet sich erst über einen Zeitraum von einigen Tagen. Unter rein mechanischer Belastung ist die Rissbildung noch so gering, dass kein Austreten Flüssigkeit zu erwarten wäre. Bei mechanischer Einwirkung und gleichzeitigem Kontakt mit der Flüssigkeit wird die Spannungsrissbildung im Bereich der schlecht ausgeprägten und damit geschwächten Bindenaht deutlich verstärkt und der Riss ist nach einigen Tagen deutlich größer.


Das Beispiel zeigt, dass die Lichtmikroskopie durch unterschiedliche Abbildungsbedingungen weitreichende Analysen an Kunststoffen und Spritzgussteilen erlaubt. Mit ihrer Hilfe war es möglich im vorliegenden Fall die Schadensursache zu ermitteln und Maßnahmen zur Schadensabhilfe und Schadensvorbeugung abzuleiten. Dabei kommt es jedoch nicht nur auf die richtige Vorgehensweise, sondern auch auf die fachgerechte Interpretation und Erfahrung des Mikroskopikers an. Darüber hinaus stehen beim Analytik Service Obernburg aber auch weitere Techniken zur Schadensaufklärung zur
Verfügung. Mit Hilfe der Rasterelektronenmikroskopie (REM-EDX) kann die Elementzusammensetzung von Verunreinigungen ermittelt werden und die IR-Spektroskopie hilft organische Komponenten genauer zu analysieren. Kombiniert mit der richtigen Präparationstechnik (z.B. Mikrotomquerschnitte) lassen sich auch kleine Einschlüsse punktgenau analysieren. Manche Fragestellungen lassen sich aber auch erst durch die
Kombination verschiedener Techniken lösen.


Die Schadensanalyse in einem unabhängigen Labor entlastet die Verantwortlichen und schafft den
Betroffenen Freiräume ihren eigentlichen Arbeiten nachzugehen bzw. die durch den Schadensfall
anfallende Mehrarbeit zu bewältigen. Ein abweichender Blickwinkel‘ fördert neue Denkansätze und
hinterfragt bestehende Annahmen kritisch. Eine kompetente Schadensanalyse hilft aber auch durch
Schadensvorbeugung die Qualität zu verbessern, Ausfallzeiten zu vermeiden und Kosten zu sparen. 

 

untere Dichtfläche mit einseitiger Rissbildung
untere Dichtfläche mit einseitiger Rissbildung
hier mit Druckbelastung
hier mit Druckbelastung

Darstellung der Bindenaht und Analyse der Spannungen in einem Neuteil über Polarisationsmikroskopie
Darstellung der Bindenaht und Analyse der Spannungen in einem Neuteil über Polarisationsmikroskopie

Ansprechpartner

Rainer Ziel
Bereichsleiter Mikroskopie und Oberflächenanalytik
Analytik Service Obernburg GmbH
Industrie Center Obernburg
63784 Obernburg
06022 81-2645
r.ziel@aso-skz.de
www.aso-skz.de

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