Digitalisierung und Modernisierung: Das JBG Miltenberg und Lehren aus der Pandemie

Die harten Fakten, die Basis sein könnten hinsichtlich des Stands der Digitalisierung, sprechen am JBG Miltenberg für sich: Alle derzeitigen Unterrichtsräume sind mit Beamer, interaktiver Tafel, Computer, Dokumentenkamera und einem qualitativ hochwertigen Switch, der ein leichtes Umschalten von einem Gerät auf das nächste ermöglicht, ausgestattet.

 

Bild: Geographie am JBG analog und digital: Der Lehrer im Distanzunterricht.

 

Überall ist „bring-your-own-device“ einfach möglich. Im ganzen Haus existiert ein leistungsfähiges WLAN. Da fehlt eigentlich nur der Glasfaseranschluss, der versprochen und projektiert ist: ein durch den Landkreis Miltenberg ausgestattetes Paradies der Digitalisierung. Zumal auch Tablets für Projekte zur Verfügung stehen, ausreichend Schülerleihgeräte vorhanden sind und die Dienstlaptops für die Lehrkräfte verlässlich angekündigt wurden. An den digitalen „basics“ hapert es also nicht, als kleine Randbemerkung: Die Grundausstattung wurde recht weit vor der Pandemie geplant und zu einem bedeutenden Teil auch etabliert.

 

Der reine Distanzunterricht basierte auf der vielgescholtenen, aber letztendlich im Laufe der Zeit besser laufenden Arbeitsplattform „Mebis“, einem Videotool namens „Big Blue Button“ als Medium des Fernunterrichts und für die flüssige Kommunikation einer Art „Schulcloudlösung“ des Info- bzw. Elternportals. Im Wechselunterricht kam das JBG Miltenberg auf eine überdurchschnittliche, zufrieden stellende Streamingquote von 40 bis 60 %, je nach Sichtweise. Denn gerade in Pandemiezeiten erwies sich, dass das Prädikat „gelungene Digitalisierung“ keinesfalls eindeutig ist und außerordentlich stark von der Perspektive abhängt. Wenn manche ein Streamen nahezu jeder Unterrichtsminute für angemessen, modern und didaktisch gefordert halten, klagen andere schon nach einer Stunde vor dem Bildschirm über Überforderung, gesundheitliche Probleme und Stresssymptome. Und jede/r glaubt, für alle sprechen zu können.

 

Die Qualität und erst recht die reine Quantität der Ausstattung mit digitalen Endgeräten ist noch kein Nachweis erfolgreicher Digitalisierung. Es kann mit vielen Geräten viel Schaden und mit wenig Geräten viel Nutzen angerichtet werden oder auch umgekehrt. Die entscheidende Frage ist: Wie verändert das digitale Zeitalter den Kompetenzerwerb der SchülerInnen? Und damit verbunden: Welche Wege müssen die Lehrenden gehen? Die bloße Verteilung von Tablets erzeugt noch lange keine Medienkompetenz und sieht bestenfalls statistisch gut, digital und modern aus. Das ist aber kein Selbstzweck. Im schulischen Kontext stellt sich permanent die Frage nach der Lebenstauglichkeit. Das bedeutet diesbezüglich: Man braucht ein Nutzungskonzept, das mehr bietet als den Ersatz eines Schreibheftes, zumal – erneute kleine Randbemerkung – die wichtige Kulturtechnik des Handschreibens potenziell geopfert wird. Das Tablet kann mehr bieten als Papiereinsparung, wenn es in den richtigen Händen ist. Dann können virtuell ganze Frösche seziert, Weltreisen unternommen und asiatische Schriftzeichen dekodiert werden: Selbstlernend, nachhaltig und höchst motivierend. Aber nur dann.

 

Es braucht neben der Streuung der Geräte ein begleitendes Mediennutzungskonzept, das auf Gefahren des Netzes hinweist, den natürlichen Spieltrieb einhegt und die Vergötzung elektronischer Mediennutzungsgeräte relativiert: Ziel muss auch mit Tablets die möglichst individuelle Persönlichkeitsentwicklung bleiben. Der nun zu etablierende Medienführerschein könnte z. B. als Fahrerlaubnis für die Tabletnutzung in der Schule vorausgesetzt werden. Es sind Konsequenzen der missbräuchlichen Nutzung der Geräte zu formulieren und durchzusetzen. Den Wert elektronikfreier Beschäftigung gilt es klarzumachen: Wer möchte in der Unterrichtspause 720 geneigte Häupter stumm und zur Seite wischend sehen? Einsamkeit, Trostlosigkeit! Die Anonymität des Internets verlangt nach einem Sensorium und realistischerweise auch einen Sanktionskatalog, wie mit Gewalt, Pornographie und Ausgrenzung umzugehen ist. Letztgenannte Phänomene werden sich mit fortschreitender Digitalisierung verstärken und altersmäßig vorverlagern. Der Ruf nach Up- oder Downloadfiltern ist hierbei nur bedingt erfolgversprechend, da jede/r weiß, dass gerade Anbietende auf genannten Feldern sehr kreativ und schnell in der Umgehung dieser sind. „Die Lehrkraft soll aufpassen“ – ist ein ähnlich schmaler Reflex, eine 1:1-Kontrolle ist utopisch. Es ist also ein durchdachtes Mediennutzungskonzept nötig, das zwischen Sanktion und Vertrauen ein gehöriges Maß an Eigenverantwortung, vielleicht sogar einem ganz eigenen, persönlichen Ethos des homo digitalis verlangt.

 

Glasfaserleitungen müssen verlegt werden. Konzepte jenseits effekthascherischer kurzfristiger Ausstattungsmoden gehören entwickelt. SchülerInnen müssen zu kreativer Nutzung motiviert sein, Lehrkräfte ihren Unterricht anpassen. Methoden wollen gelernt und Ziele entsprechend angepasst werden. Und einen weiteren Punkt gilt es zu beachten: Es muss eine digitale Kluft verhindert werden, die nicht unbedingt entlang sozial-ökonomischer Bedürftigkeit verlaufen muss, aber durchaus kann: der Graben zwischen Habenden und Wollenden oder auch Könnenden und Inkompetenten. Schon allein der Ausschluss mancher, die ihre mobilen Daten verbraucht oder nie gehabt haben, ist gefährlich. Es braucht also auch ein Instrumentarium zur Nutzung des Schul-WLANs: Dauerhafte Offenheit für alle birgt oben genannte Gefahren. Das JBG Miltenberg arbeitet an einer „Voucher-Lösung“, die für jeden Unterricht einen beschränkten WLAN-Zugang bietet, das pausenfüllende „Daddeln“ aber verhindert.

Bild: Geographie am JBG analog und digital: Distanzunterricht aus Schülerperspektive

 

Alle Aspekte bedeuten im Grunde, dass Digitalisierung auch und insbesondere als Lehre aus der Pandemiezeit kein Selbstzweck um des modischen Effekts willen sein darf. Digitales Werkzeug ist schön und gut, im Mittelpunkt bleibt der Mensch. Und dann lieber ein scheinbar tolles Gerät weniger, aber dafür echte Bereicherung durch das digitale Instrumentarium, das wirklich Nutzen bringt hinsichtlich der Persönlichkeits-entwicklung. Wenn Modernität eine kulturelle und technologische Zeitgemäßheit, im Sinne einer positiven Fortschrittlichkeit umfasst, dann gehört mehr dazu als neueste Ausstattung: nämlich eine reflektierte, menschengerechte, aufgeklärte Nutzung eben solcher.

 

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