Z! DAS ZUKUNFTSMAGAZIN IM INTERVIEW MIT DR. STEPHAN ZECHA

 

 

 

 

 

 

 

Dr. Stephan Zecha


Leiter Integrated Safety Systems, Continental Safety Engineering International GmbH


Herr Zecha, Sie leiten den Bereich „Integrated Safety Systems“ bei Continental. Was haben wir uns darunter vorzustellen?
Die Antwort liegt schon fast vollständig in der Bezeichnung begründet. Unsere Tätigkeit beinhaltet, die Fahrzeugsicherheit durch die Integration von aktiven und passiven Komponenten und Systemen
zu erhöhen. Ein Beispiel: Die Informationen über die Umgebung eines Autos, die wir mit einem Radar
ermitteln, nutzen wir, um Rückhaltesysteme wie Sicherheitsgurte oder Airbags im Falle eines Unfalls
frühzeitiger auszulösen, dass der Fahrzeuginsasse optimal geschützt ist. Dies ist nicht nur wichtig für
Fahrzeugtypen, die wir derzeit kennen, sondern auch für Fahrzeugkonzepte, die wir in Zukunft im
Markt sehen werden und für die neue Raum-, Sitzund Stehpositionen vorgeplant werden müssen. Es
gibt einen erheblichen Bedarf an neuen Mobilitätsformen wie kleinen Personentransportfahrzeugen,
die autonom, also ohne Fahrer und ohne Eingriffsmöglichkeiten, Personen von A nach B bringen.
Um auch hier die Sicherheit von Passagieren, die teilweise auch stehend transportiert werden,
gewährleisten zu können, müssen alle Systeme und Technologien miteinander vernetzt sein und
z.B. auch die Position der Personen im Innenraum erkennen können.

 

Continental kennt man vor allem als Reifenhersteller. Wie erklärt es sich, dass sich Continental um solche Themen kümmert?
Continental ist tatsächlich nach wie vor als Reifenhersteller bekannt. Das Tätigkeitsfeld ist aber seit
langem sehr viel breiter, was so beabsichtigt und Ergebnis eines jahrelangen strategischen Entwicklungsprozesses ist. Continental hat sich in den letzten Jahren stark differenziert und ist sowohl
durch Wachstum als auch durch Zukäufe zu einem der weltweit größten Automobilzulieferer geworden.
Viele kennen noch die Namen Temic, Siemens Automotive, Siemens VDO oder Teves. Dies sind
Beispiele für Firmen, die nunmehr Teil des Technologieunternehmens Continental sind. Das Geschäft
mit den Reifen ist nach wie vor lukrativ, aber besonders stark wächst der Automotive-Bereich. Dies liegt
auch daran, dass die Anforderungen an Automobile stark vom Verbraucher und damit dem Fahrzeugkäufer oder -nutzer bestimmt werden, was uns als Automobilzulieferer über Organisationen wie den Euro NCAP als Anforderungen oder Spezifikation erreicht, die wir zu erfüllen haben.

 

Was macht Continental Safety Engineering International am Standort Alzenau?

Wir sind das Kompetenzzentrum für Fahrzeugsicherheit im Konzern. Wir haben am Standort über 25
Jahre Tradition und Erfahrung. Am Anfang standen vor allem Systeme der passiven Fahrzeugsicherheit
im Fokus, worunter man Systeme versteht, die nach einem Unfall wirksam werden, also Sicherheitsgurte
und Airbags. Daher verfügen wir über alle notwendigen Versuchsanlagen, um komplette Fahrzeuge in
Crashanlagen oder Systeme mit Schlittenversuchen praktisch zu testen. Um mal ein Gefühl dafür zu
bekommen, was das bedeutet: Wir testen pro Jahr ungefähr 500 Fahrzeuge auf unserer Crashanlage.
Das ist natürlich eine wichtige Kompetenz, die wir für den am stärksten wachsenden Bereich der integralen Sicherheit nutzen können.

 

Die Sicherheit auf Deutschlands Straßen hat in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Glauben Sie an den unfallfreien Verkehr?
Als Langfristziel haben wir „Vision Zero“, also einen Straßenverkehr ohne Tote, Verletzte und Unfälle.
Dies ist auch ein Ziel der Europäischen Union, die, grob gesagt, eine Halbierung der Zahl der Toten in
einer Dekade fordert. Es ist aber allen bewusst, dass das ein langer und schwieriger Weg ist, der umso
schwieriger wird, je länger man den Weg schon gegangen ist. Dies liegt daran, dass es immer eine
Grenze technischer Systeme geben wird und es immer Situationen geben wird, die einen Meschen
überfordern und ein automatisiertes System auch. Aber wir werden diese Grenze immer weiter verschieben, da wir dem Menschen als Verkehrsteilnehmer, und hier meine ich nicht nur den Menschen als Fahrer, sondern auch den Menschen als Fußgänger oder Radfahrer, ein sicheres und lebenswertes
Umfeld bieten wollen. Der Schutz dieser schwachen Verkehrsteilnehmer ist uns ein besonderes Anliegen
ebenso wie die Vermeidung von Unfällen, die z.B. durch Sichtverdeckungen an Kreuzungen entstehen
können.


Arbeiten Sie daran, den Menschen als häufigste Ursache von Unfällen durch Roboter zu ersetzen?
Die Sichtweise hinter dieser Frage würde ich gerne ergänzen. Der Mensch ist naturgemäß bislang die
häufigste Ursache für Unfälle, er ist aber auch derjenige, der die meisten Unfälle verhindert. Wir alle
als Verkehrsteilnehmer erkennen laufend Gefahren im Ansatz und vermeiden diese, wir sind auch in der
Lage, gezielt gegen Vorschriften zu verstoßen, wenn es die Sicherheitslage erfordert. So wird niemand
von uns einem plötzlich auf die Straße tretenden Fußgänger nicht ausweichen, nur weil sich links von
uns eine durchgezogene Linie befindet. Und so gibt es eine Vielzahl von Gefahrensituationen, die der
Mensch verhindert, die aber in keiner Unfallstatistik erfasst werden. Wenn wir nun als Entwickler die
Aufgabe haben, einem automatisierten System das beizubringen, was ein Mensch tagtäglich macht,
fehlt uns eine wichtige Datenbasis.

 

Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht das automatisierte oder autonome Fahren und worin liegen die aktuellen Herausforderungen?
Im automatisierten und dem autonomen Fahren liegen sehr große Potenziale, einen nachhaltig sicheren
und effizienten Verkehr zu erreichen. Da die von uns entwickelten Technologien unabhängig von der
Antriebstechnik sind, können diese natürlich auch für Fahrzeuge mit elektrischem oder hybridem Antrieb
verwendet werden. Die größten Herausforderungen technischer Natur liegen darin, ein Fahrzeug
für alle nur erdenklichen Situationen so vorbereiten zu können, dass es einfache Autobahnsituationen
bis hin zu hochkomplexen Verkehrssituationen bewältigen kann. Ein automatisiertes Fahrzeug muss
in der Lage sein wie ein Fahrer, der die Umgebung mit seinen Sinnen wahrnimmt, die Informationen
mit seiner Intelligenz verarbeitet, Entscheidungen trifft und diese mit Händen und Füßen in die Bedienung
des Autos umsetzt, zu (re-)agieren.

 

Wie bilden Sie diese Problematik beim Testing und der Absicherung ab?
Bei der Auslegung der Systeme bilden wir die Problematik ab, indem wir mehrere Sensoren einsetzen, die zueinander komplementär sind und die sich ideal mit ihren Stärken ergänzen und die zum Teil redundant sind. Diese Systeme werden mit möglichst vielen Testkilometern im realen Straßenverkehr erprobt und die Ergebnisse dieser Testkilometer dann für Re-Simulationen genutzt. Es gehen natürlich vorher virtuelle Tests voraus. Wichtig ist aber nach wie vor der reale Test, weil es einfach zu viele Einflussgrößen und Beeinträchtigungsmöglichkeiten gibt. Denken Sie an eine tief stehende Sonne, die für Kamerasysteme eine Herausforderung sein könnte, an Lichtreflexe auf nasser Fahrbahn, an Straßenbahnschienen oder Metallgerüste, die Funksignale beeinflussen, an Mehrfachreflexionen von Funksignalen, Schnee, Starkregen und Eis. Mit allen diesen Umgebungsparametern müssen die Technologien überall auf der Welt in allen Klimazonen klarkommen. Deswegen sind reale Testfelder für uns so wichtig. Weltweit entwickeln, testen und produzieren wir die für das automatisierte Fahren benötigten Komponenten und Systeme – in den USA ebenso wie in Japan, China, Indien und in Europa.


Blicken wir mal in die USA. Dort sind Tesla, Google und Co. so richtig innovativ und schnell. Zeigen diese Player uns als Autoland, wie es richtig geht?
Die große Dynamik in z.B. der Automation von Fahrfunktionen bis hin zum autonomen Fahren ist sehr stark von der Software geprägt, und hier sind die US-amerikanischen Unternehmen stark. Der Bau von Komplettfahrzeugen war nicht unbedingt die Zielstellung dieser Unternehmen. Was im Vergleich der US-amerikanischen mit der nationalen Situation auffällt, ist, dass man in den USA sehr offen für schnelle und pragmatische Ansätze ist. Man geht dort mit mehr Mut an die Sache und ist damit einfach innovativer und schneller. Daher haben viele der deutschen Automobilhersteller und Automobilzulieferer dort starke Standorte und viel Kompetenz aufgebaut oder dorthin verlagert. Aber lassen wir uns nicht täuschen: Die deutsche Automobilindustrie haben die Zeichen der Zeit erkannt.


Wir bei Continental verfolgen jedoch unterschiedliche Ansätze bei der Entwicklung für das Automatisierte Fahren. Zum einen nutzen wir unsere Stärken im Bereich Fahrerassistenzsysteme und entwickeln diese Technologien evolutionär weiter. Damit realisieren wir, dass bereits erprobte und etablierte Sensoriken für eine Verwendung beim automatisierten Fahren weiterentwickelt werden. Daneben arbeiten wir an revolutionären Konzepten, die uns ermöglichen, vollkommen neue Technologien gerade im Bereich des fahrerlosen Fahrens zu entwickeln. Unsere Entwicklungsplattform CUbE (Continental Urban Mobility Experience) für fahrerlose Fahrzeuge ist ein solches Beispiel.


In den USA sind derzeit die sogenannten Smart Cities groß im Kommen. Welche Vorstellungen sind damit verbunden und was geschieht in Deutschland?
Weltweit haben sich viele Großstädte, nicht nur in den USA, sondern auch in Asien und Europa, zur Smart City Initiative zusammengeschlossen. Auch in Deutschland gibt es Städte, die aktiv werden, um die Sicherheit auf den Straßen zu steigern, den Verkehrsfluss zu optimieren und unnötigen Verkehr wie Parkplatzsuchverkehr zu vermeiden. Noch gar nicht so in der Öffentlichkeit bekannt ist, dass VW die sogenannte „v2x“-Technologie ab 2019 in ihren Fahrzeugen verbaut. Unter „v2x“ versteht man vehicle-to-x-communication, wobei „x“ ein anderes Fahrzeug, eine Lichtsignalanlage, ein Fußgänger oder der Fahrer eines Fahrrads, Pedelecs oder Ähnliches sein kann. Dies ist ein Durchbruch nach langen Jahren der Forschung und Standardisierung, wobei wir als Standort auch mit vielen Forschungs- und Entwicklungsprojekten beteiligt waren.


Arbeiten Sie mit Forschungseinrichtungen und Universitäten und Hochschulen zusammen?
Ja, gerne, aber nur im vorwettbewerblichen Bereich. In dem Augenblick, in dem Themen in die Vorentwicklung laufen, gelten unsere industriellen Vorgaben vor allem im Hinblick auf die Zeit. Forschungseinrichtungen müssen ihren Schwerpunkt auf wissenschaftlichen Fragestellungen legen, die für uns ab einem gewissen Punkt gegenüber Effizienz, Geld und Timing zurückstehen müssen.


Sie sind von Hause aus Raketentechniker. Wie kommt jemand wie Sie aus der Raumfahrt in die Automobilindustrie?
Ich kannte die Region Bayerischer Untermain sehr gut, weil ich hier aufgewachsen bin. Studiert habe ich an der TU München und in München dann auch meine berufliche Laufbahn begonnen. Für den Wechsel in die Automobilindustrie sprachen die attraktiven und herausfordernden Problemstellungen, für die ich meine Erfahrungen und Kenntnisse, die ich in der Luft- und Raumfahrtindustrie erworben hatte, sehr gut nutzen konnte. Auch mein familiäres Umfeld sprach für eine Rückkehr an den Bayerischen Untermain.


Wie zufrieden sind Sie mit dem Standort Bayerischer Untermain?
Der Bayerische Untermain ist eine Region mit hoher Lebensqualität. Es fällt auf, dass wir hier eine sehr große Zahl von starken mittelständischen Unternehmen haben und uns auf der anderen Seite der Landesgrenze sehr große Wirtschaftsunternehmen und Konzerne gegenüberstehen. Wenn ich an die Diskussionen und Besprechungen denke, die ich gemeinsam mit der ZENTEC mehrfach im bayerischen Wirtschaftsministerium hatte, so habe ich den Eindruck, dass dort die Stärken und die Potenziale unserer Region noch nicht wirklich verstanden sind. Es gibt erfreulicherweise einen Diskussionsprozess der Bundesländer, die zur Metropoloregion FrankfurtRheinMain gehören, vor allem zu den Themen Mobilität und Fachkräfte, der, so hoffe ich, dazu führt, dass die Region Bayerischer Untermain stärker als bislang in München wahrgenommen und konkret unterstützt wird.


Herr Zecha, ich danke Ihnen für das Gespräch.


Das Interview führte Dr. Gerald Heimann, ZENTEC GmbH



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